Beuteagression fördern ODER wenn die Angst vor den Zähnen zur self-fulfilling prophecy wird
- Kristina Räder
- 7. Juli 2021
- 3 Min. Lesezeit

Wie? Ich habe mich im Titel vertan, meint ihr? Beuteaggression NICHT fördern, müsste es heißen? Ja, eigentlich schon, nur ist häufig leider das Gegenteil zu beobachten und das hat einen ganz simplen Grund. Insbesondere Menschen, die ihren ersten Hund bekommen, haben zunächst einmal Respekt bis Angst vor dessen Gebiss und das ist auch gut so. Schließlich knackt ein ausgewachsener Hund auch problemlos Knochen, warum sollte das mit unseren nicht gehen???
Insbesondere von der äußerst hündischen Angewohnheit, Beute mittels Zähnen zu verteidigen, haben viele Menschen schon einmal gehört und möchten diesem unerwünschten Verhalten vorbeugen. Auch dieser Gedanke ist erstmal gar nicht so falsch. Was dann aber häufig passiert, das wiederum ist oft äußerst falsch!
Irgendwer hat mal gesagt, man müsse mit dem Hund viel tauschen, damit er Fressbares freiwillig wieder hergibt. Und nun wird jedes Futter getauscht. Der Kauknochen gegen den Käse, der Käse gegen die Leberwurst, die Leberwurst gegen ein Steak. Anfangs findet der Hund ein solches Tauschspiel übrigens wirklich meist attraktiv und lernt dadurch, dass es nicht schlimm ist, Fressbares wieder rauszurücken oder gar zum Menschen zu bringen. Doch tausche ich ständig und nur noch, so will der Hund womöglich irgendwann einfach mal in Ruhe fressen und knurrt oder schnappt trotz des gut geübten Tauschhandels plötzlich doch…oder, so meine These: genau deswegen!
Nun gut, es gibt ja noch andere Maßnahmen, um dem Hund seine Beute abnehmen zu können. Ein anderer hat schließlich mal geschrieben, dass es wichtig sei, sich im Welpenalter einfach mal anzueignen, was der Hund hat, und sich dabei ordentlich durchzusetzen. Daher wird hin und wieder mit dem jungen Hund nicht getauscht, sondern die Schüssel weggenommen, der Kauknochen aus dem Maul gerissen und das Steak wieder zurückerobert. Ha, nun ist die Rangordnung aber geklärt, oder doch nicht? Auch hier gilt wieder: ja, wenn ein junger Hund ein- oder zweimalig die Erfahrung macht, dass der Mensch über Ressourcen verfügt und diese souverän zuteilt oder enzieht, dann kann das dazu führen, dass er hergibt, was er hat. Insbesondere wenn der Hund aber bei jedem Fressen Angst haben muss, dass er sein Futter wieder verliert, wird er früher oder später ein Verteidigungsverhalten entwickeln – er ist ja nicht blöd und verhungert freiwillig!
Aber zum Glück wäre da ja noch die Strategie, den Hund einfach nur und ausschließlich aus dem Futterbeutel oder der Hand zu füttern. Womöglich steckt dahinter die Annahme, dass die Hand, die füttert, sicher nicht gebissen wird. Fehlanzeige. Auch eine solche Hand kann gebissen werden. Auch wenn diese Fütterungsform für sehr eigenständige, ängstliche oder bereits beuteaggressive Hunden sicherlich (fachlich korrekt angewandt) auch in manchen Fällen hilfreich sein kann, auch hier gilt: auf Kontext und Maß kommt es an.
Sicherlich gibt es noch weitere, dringend empfohlene Tipps gegen Beuteaggression, wie sie in vielen Anti-Gift-Köder-Trainings stecken oder schon beim Sitzen vor dem Napf anfangen, das peinlichst genau etwa 3 Minuten lang abverlangt wird, bevor der stark sabbernde Hund dann endlich fresssen darf. Aber die aufgezählten Methoden sind wohl die gängigsten. Und mit allen kann man je nach Hund und Situation tatsächlich arbeiten und auch erfolgreich sein. ABER: weder macht es Sinn, alle Formen einfach prophylaktisch auszuprobieren und wild zu kombinierten, noch, dem Hund jedes Futter in welcher Form auch immer streitig zu machen, nur damit er bloß nicht schnappen möge. Im Gegenteil: oft kommen solche Mensch-Hund-Teams irgendwann tatsächlich wegen einer handfesten Beuteaggression ins Training, denn Hund und Mensch haben verlernt, ganz natürlich mit Futter und Zähnen umzugehen. Soll heißen: weniger ist mehr. Futtern und futtern lassen ist die Devise.
Tatsächlich mache ich einem jungen Hund auch mal klar, dass ich Futter auch wegnehmen darf, wenn ich das möchte und natürlich tausche ich auch mal etwas ein, aber dabei achte ich darauf, in welcher Situation, wann und wie oft, mit welcher Einstellung und mit welchem Hund ich dies mache. Daher: Finger weg vom einfach probieren, fachkundigen Rat einholen und zu 99 Prozent, den Hund einfach mal fressen lassen. Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn…ähm, mit den Zähnen. Schließlich mögen wir auch niemanden, der uns alle zwei Minuten unseren Lieblingskuchen wieder aus den Händen reißt und gehen in kein Lokal ein zweites Mal, wo der Kellner minütlich unser bestelltes Essen gegen ein beliebiges anderes eintauscht.
Zu beobachten ist diese Angst vor dem Beißen übrigens am häufigsten bei Menschen, die junge Kinder haben, gerade ein Kind erwarten oder noch Kinder bekommen möchten. Auch dies ist natürlich verständlich, denn Kinder sind tatsächlich am gefährdetsten von Hunden gebissen zu werden. Aber gerade da gilt: professionellen Rat einholen, nicht einfach rumdoktern und vor allem trotzdem entspannt bleiben, damit die befürchtete Beuteaggression nicht zur self-fulfilling-prophecy wird.
Text A.Nowatzek
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