Erwarten sie noch oder schalten sie schon ab?
- Kristina Räder
- 17. Mai 2021
- 4 Min. Lesezeit

„In der Ruhe liegt die Kraft.“ Dieser alte Spruch, der oft floskelhaft verwendet wird, hat viel Wahres an sich, vielleicht ist er in einer so gehetzten Zeit wie heute sogar erst richtig wahr geworden.
Wer selbst in stressigen Situationen ruhig bleibt, einen kühlen Kopf bewahrt und halbwegs überlegt handelt, der hat häufig dem impulsiv und gehetzt Handelnden etwas voraus.
Und wen überrascht es da noch, dass das gleiche, was für uns Menschen gilt, auch für unsere Hunde seine Gültigkeit hat.
Daher und weil der Trend derzeit zum „aktiven Hund“ geht, sprießen Impulskontrollworkshops und -vorträge wie Pilze aus dem Boden und das nicht ganz zu Unrecht.
Immer mehr Menschen wünschen sich einen aktiven, sportlichen Begleiter an ihrer Seite – manchmal zu Recht, manchmal aber auch nur, weil sie meinen, dass zu ihrem (vermeintlich) aktiven Lifestyle ein sehr arbeitsfreudiger Hund gehört.
Nicht selten ist das Leben aber dann gar nicht so aktiv, wie es das für den entsprechenden Hund sein müsste, die gewünschte Aktivität von Mensch und Hund sieht völlig unterschiedlich aus (Fahrradfahren versus Dummytraining zum Beispiel) oder aber das Leben ist viel zu aktiv, um überhaupt mal durchzuatmen.
Jedenfalls sehen Hundetrainer zunehmend mehr Retriever aus Arbeitslinien, Border Collies, Australien Shepherds, Vizslas, Terrier oder explosive Mischungen dieser oder ähnlicher Rassen und die Halter wollen natürlich alles tun, um ihren Hund „auszulasten“.
Erstmal kein schlechter Gedanke, der leider von vielen Züchtern auch noch getriggert wird, wenn schon die Homepage dazu drängt, bloß möglichst viel mit dem Hund zu machen.
Das Ergebnis sind häufig hyperaktive, impulskontrollschwache und überdrehte Hunde, die frustriert durch die Welt laufen.
Das ist anstrengend für den Hund, die Besitzer und in manchen Fällen sogar unangenehm bis gefährlich für die Umwelt.
Um das wieder in den Griff zu bekommen wird dann der Impulskontrollworkshop gebucht, das Deckentraining assoziiert und der Hund durch langes Warten auf seine Aktivität „getriezt“.
Aber ist das wirklich der Weg zu mehr Ruhe? Nicht wirklich: es ist höchstens der Weg zu mehr Selbstbeherrschung und etwas mehr „aushalten können“
Wäre nicht aber der wirklich entspannte Hund viel wünschenswerter als der, der nur kurz innehält bevor er dem Ball nachjagt, den Keks bekommt oder doch die Besucher begrüßen darf?
Gemeint ist folgender Unterschied, den auch wir Menschen kennen: hat uns jemand gesagt, wir sollen eine Stunde warten bis eine große Überraschung ansteht (sei diese jetzt positiv oder auch negativ), dann warten wir gebannt auf das, was da kommen mag.
Bestenfalls werden wir dabei nicht total hibbelig und unruhig, sondern beherrschen uns weitestgehend. Aber die wenigsten von uns werden sich in solch einer Situation hinlegen und gemütlich eine Stunde schlafen oder dösen, nicht wahr? Wenn uns aber jemand mitteilt, dass in der nächsten Stunde nichts wirklich Wichtiges passieren wird und dass auch danach gegebenenfalls noch lange nichts los sein wird, dann wagen wir eher mal ein Schläfchen oder versinken wirklich entspannt in unseren Gedanken.
Der Unterschied liegt in der Erwartungshaltung: im ersten Fall ist diese sehr hoch, im zweiten sehr gering, obwohl wir beide Male eine Stunde Zeit zu überbrücken haben, werden wir dies mit einem ganz anderen Grad an Aufregung tun.
Ähnlich ergeht es unseren Vierbeinern: versprechen wir ihnen, dass sie nach 10 Minuten auf der Decke endlich den heiß geliebten Besucher begrüßen dürfen, hält der Hund diese zehn Minuten meisten gerade so aus und schießt dann auf Kommando los um noch stürmischer zu begrüßen als er es eigentlich getan hätte. Wartet unser Hund nur darauf, dass er das 31 Bällchen, das ihm um die Ohren fliegt holen darf, dann schafft er es bestenfalls gerade so die anderen 30 Bällchen auszuhalten ohne laut zu werden oder einzuspringen, wird aber sicherlich alles andere als tiefenentspannt warten.
Mit viel Übung haben wir also maximal einen Hund trainiert, der etwas mehr „aushalten kann“ und seine Impulse etwas besser kontrollieren kann, der aber aufgrund seiner Erwartungshaltung ganz schön unter Strom steht.
Echtes Abschalten, runterfahren, zur Ruhe kommen…das sieht anders aus, verkauft sich an Hundeschulen aber nicht so gut.
Wie erreiche ich das nun aber? Eigentlich ist es ganz simpel: einfach mal nichts tun und das Nichtstun am besten mit gar nichts belohnen, da Langeweile einfach zum Leben einfach dazu gehört.
Ruhe halten, Reize wahrnehmen aber nicht darauf reagieren, tief schlafen – all das sollte eigentlich ganz normal sein, findet im Alltag unserer Hunde aber (wie in unserem eigenen) nur noch ganz selten statt.
Daher ein Appell an alle: einfach mal nicht tun. Das geht übrigens drinnen wie draußen.
Das „auf der Decke liegen“ muss keinen „spannenden Abschluss“ haben – es ist selbstbelohnend, wenn der Hund dadurch entspannen kann.
Einfach mal im Garten sitzen, zur Not an der Leine zur Entspannung gezwungen werden kann dazu führen, dass auch Außenreize nicht mehr ganz so spannend sind und auch nicht jeder Spaziergang muss ein Feuerwerk der Bewegung und Übungen sein.
Was spricht eigentlich gegen eine ausgedehnte Pause auf der Bank, am Fluss oder auch mal im städtischen Umfeld. Wenn wir unsere Hunde früh daran gewöhnen, dass es ganz normal ist, dass auch einmal nichts passiert und dass das manchmal auch das einzige ist, was passiert, dann haben sie eine Chance solche Situationen als normal wahrzunehmen und zu lernen, mit sich, ihrer Energie, ihrem Frust besser klarzukommen.
Am Ende hilft ja nichts – man muss einfach abschalten, wenn nichts geht. Etwas helfen kann es, wenn man den Hund nicht gleich an den für ihn spannendsten Ort der Welt schleppt und hofft, dass er dort binnen 20 Minuten eingeschlafen ist. Nein, auch Abschalttraining, wie es genannt wird, sollte an die Möglichkeiten, das Alter und die Reizempfänglichkeit eines Hundes angepasst und langsam gesteigert werden.
Schöner Nebeneffekt eines solchen Abschalttrainings? Wir Menschen kommen in unserem hektischen Alltag auch einfach mal zur Ruhe! Da können wir dann wohl unserem Hund danken!
Text A. Nowatzek
Foto Beate Schmahl
Comments